Provenienzforschung und Restitution im Lentos Kunstmuseum Linz
Im Gespräch mit Elisabeth Nowak-Thaller
Ein Text von Michaela Vater und Valentina Ritt
In der Zeit zwischen 1917 und 1918 wurde Gustav Klimt, der mit den jüdischen Familien Lederer und Munk eng befreundet war, beauftragt, ein Gemälde von Maria „Ria“ Munk anzufertigen. Diese hatte sich 1911, mit nur 24 Jahren, das Leben genommen, weshalb Klimt ihre Persönlichkeit in einem „Damenbildnis“ festhalten sollte.
Ankara Munk, Ria Munks Mutter, wurde als Jüdin am 19. Oktober 1941 von den Nationalsozialisten nach Łódź deportiert und ihr Vermögen am 19. Oktober 1942 zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Das Bildnis ihrer Tochter verschwand mit allen anderen Reichtümern ihrer Familie.
Im August 1956 wurde das Gemälde von der Stadt Linz zu einem Preis von 9.600,– ATS (Klimts Werke waren damals sehr günstig) vom Berliner Kunsthändler und gleichzeitigem Gründungsdirektor der Neuen Galerie der Stadt Linz Wolfgang Gurlitt erworben. Die Frage, die sich stellt, ist: Wie gelangte das von den Nationalsozialisten konfiszierte Gemälde in den Besitz Wolfgang Gurlitts –einem Kunsthändler mit fragwürdigen Kontakten in die Kreise des NS-Regimes?
Ein Teil der großen Spurensuche rund um Klimts Meisterwerk war Dr.in Elisabeth Nowak-Thaller. Die langjährige Mitarbeiterin des Lentos Kunstmuseum Linz war am 2. Dezember 2021 zu Gast in der Lehrveranstaltung Blickpunkt Sammlung und gab spannende Einblicke in ihre Arbeit im Museum und die Provenienzforschung im Haus.
Einblicke in den Museumsalltag einer Sammlungsleiterin
Die Sammlungsleiterin im Bereich Gemälde und Skulptur arbeitet seit 1986 im Museum, unter anderem als Kuratorin, Ausstellungsorganisatorin, Kunstvermittlerin und in der Provenienzforschung. Davor studierte sie Kunstgeschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Universität Salzburg. Anschließend begann sie ihren Dienstweg in der Neuen Galerie der Stadt Linz – der Vorgängerinstitution des Lentos – und blieb dem Haus bis heute treu.
Als damals einzige wissenschaftliche Mitarbeiterin hat sie den Umgang in allen Museumsbereichen kennengelernt und wurde mit Neugründung des Lentos 2003 zur Sammlungsleiterin über die ca. 1.700 Gemälde und Skulpturen. Ein wichtiger Arbeitsbereich der Klemens Brosch-Spezialistin besteht neben der Betreuung der Sammlung auch im Kuratieren von Ausstellungen – in ihrem Berufsleben hat die Linzerin schon über 100 Ausstellungen der modernen und zeitgenössischen Kunst realisiert.
Nowak-Thaller gab uns Einblicke in ihren facettenreichen Arbeitsalltag: Ein konstanter Bestandteil ihrer Aufgaben im Bereich der Sammlung ist die Korrespondenz mit Künstler*innen, die Beantwortung von Leih- und Forschungsanfragen, sowie das Übernehmen, Organisieren und Inventarisieren von Neuzugängen.
Kriterien, die berücksichtigt werden, damit ein Werk verliehen werden kann, sind unter anderem der restauratorische Zustand des Gemäldes, die kollegiale Zusammenarbeit der Museumshäuser, sowie die Funktion der Bilder als Visitenkarte für das Lentos. Natürlich treffen täglich Anfragen bezüglich der „Masterpieces“ im Lentos ein, dabei wird die Zu- oder Absage fallweise entschieden und nicht jede Leihanfrage kann positiv beantwortet werden.
Nicht nur die Abwicklung von Ausstellungen und Leihgaben sind Museumsarbeit, auch die Bewahrung des Bestandes für die Nachwelt sind in dieser enthalten. Für ihre kuratorische Tätigkeit kommt Elisabeth Nowak-Thaller die, über die Jahre hinweg erworbene Kenntnis der Sammlung gelegen. Gezielt kann sie passende Werke aus dem Bestand auswählen und in Ausstellungskonzepte einbringen.
Provenienzforschung und Restitution im Lentos Kunstmuseum Linz
Teil von Elisabeth Novak-Thallers Aufgabengebiet ist es auch, gemeinsam mit externen und internen Experten, die Provenienzforschung im Haus voranzutreiben, wie etwa auch zu dem „Damenbildnis“ von Gustav Klimt.
Vor dem Erlassen des neuen strengeren Kunstrückgabegesetzes des Staates Österreichs 1998 wurde bereits ein Auftrag zur Untersuchung der Sammlungsbestände des Lentos durch den Linzer Bürgermeister Dr. Franz Dobusch an das Archiv der Stadt Linz gestellt. Zur ersten Restitution kam es mit dem Gemälde „Die Näherin“ (1883) von Lesser Ury, das an die Erben nach Dr. Fritz Loewenthal im Jahr 1999 restituiert wurde.
Seit der Gründung der Neuen Galerie durch den u.a. in Bad Aussee lebenden Berliner Kunsthändler Wolfgang Gurlitt, stellte sich die Offenlegung der Provenienzen der Werke seiner Privatsammlung oft als problematisch dar. Sein Engagement als manischer Sammler, aber auch als Kunsthändler und Agent für Hitlers Sonderauftrag Linz sowie seine Gewohnheit, Werke der avantgardistischen Moderne, die der NS-Staat aus deutschen Museen als „entartet“ beschlagnahmen ließ, zu verkaufen, lässt Provenienzforscher*innen mit besonderem Interesse auf die von ihm gehandelten Werke blicken.
Eine der vielen Hürden für die lückenlose Provenienzforschung stellte das Fehlen eines standardisierten Verfahrens zur Klärung der Besitzansprüche und fehlende Quellen dar. Dies ergibt sich im Fall Gurlitt aus mehreren Faktoren: Zum einen wurden große Teile seines Archivs sowie die Geschäftsbuchhaltung seiner Galerie zerstört, zum anderen sind viele der Vorbesitzer*innen seiner Werke nicht bekannt, da die Korrespondenz seiner privaten Kunsthandlung statt sieben Jahre – wie im Gesetz erforderlich – nur kurz aufbewahrt wurde. Nach Auflösung der Gurlitt Galerie in München wurden ebenfalls viele Geschäftskorrespondenzen vernichtet.
Wenn ein Antrag auf Restitution an das Lentos gestellt wird, muss dieser sehr eingehend und genau geprüft werden, da es sich um teils hochkarätige und wertvolle Werke aus den Beständen handelt. Wichtig ist dabei, dass die Nachvollziehbarkeit des Restitutionsanspruches gewährleistet werden kann, was durch fehlende Dokumente oft schwierig ist. In besonders schwierigen und heiklen Fällen wird deshalb der Kunstrückgabebeirat des Bundes konsultiert. ausgelöst werden Recherchen oft durch Anfragen von Anwälten – aufgrund des ausgelasteten Museumspersonals bleibt leider wenig Zeit, um auf Eigeninitiative nachzuforschen, dennoch konnten die Provenienzen von rund 65 Gemälden überwiegend aus der Sammlung Gurlitt geklärt werden.
Elisabeth Nowak-Thaller beschrieb die Vorgehensweise, wenn eine Restitutionsanfrage an das Lentos herangetragen wird: Zuerst wirft die Sammlungsleitung einen Blick in das Inventarbuch, um im nächsten Schritt das Werk selbst zu betrachtet – Befinden sich auf der Rückseite des Werkes Verweise auf vergangene Besitzer*innen, Schriftzeichen oder Aufkleber?
Leider existieren museumsinterne Quellen kaum, daher wird für die Forschung das Archiv der Stadt Linz, in dem die Gründungsunterlagen der Neuen Galerie (Schriftverkehr, Aufzeichnungen, etc.) lagern, durchforstet. Sollten bis zu diesem Zeitpunkt noch keine schlüssigen Informationen aufgetaucht sein, führt kein Weg an weiterführenden Recherchen vorbei. Als externe Quellen versteht man dabei historische Werkverzeichnisse und Ausstellungskataloge, kunsthistorische Publikationen, u. Ä.
Solche neu gewonnenen Erkenntnisse und vorgelegten Beweise von Sophie Lillie führten am 4. Juni 2009 zur Restitution des „Damenbildnis“ an die Familie Munk bzw. deren Erbengemeinschaft. Der Linzer Gemeinderat stimmte der Restitution einstimmig zu. Ankara Munk war bereits verstorben, ihre Erben gaben das Gemälde nach erfolgter Restitution zum Verkauf in einem internationalen Auktionshaus frei.
Doch warum wurden Ansprüche auf Restitution von Kunstwerken nicht schon früher, unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, gestellt? Laut Elisabeth Novak-Thaller ist dies vor allem der österreichischen Bürokratie zu verschulden, die nach 1945 eine Restitution von Kunstwerken aus Unrechtskontexten an die ehemaligen Besitzer*innen erschwerte. Viele Betroffene hielten sich zu dieser Zeit nicht mehr in Österreich auf und/oder wollten den immensen Aufwand nicht auf sich nehmen, eine Restitutionsanfrage zu stellen. Stattdessen wurde oft auch versucht, mit der traumatisierenden Vergangenheit abzuschließen. Auch war das öffentliche Interesse an Provenienzforschung und Rückgabe nach dem zweiten Weltkrieg sehr gering und die Werte der geraubten Kunstwerke u.a. von Schiele oder Klimt nach dem Krieg überaus niedrig. Daher wurden viele Anfragen, die zu Beginn der Nachkriegszeit gestellt wurden, aus heutiger Sicht unrechtmäßig abgelehnt.
Aktuell liegt den Forscher*innen des Lentos keine Provenienzanfrage vor. Alle als kritisch klassifizierten Herkunftsverhältnisse wurden bereits so weit wie möglich erforscht. Trotzdem gilt die Sammlung des Lentos nicht von jeglichem Restitutionsverdacht befreit: Sollten Unterlagen oder Beweise für einen Restitutionsbedarf gefunden werden, muss sich der Arbeitskreis für Provenienzforschung des Museums erneut beraten und mit seinen Nachforschungen beginnen.
Auf wissenschaftliche Durchbrüche kann man in der Provenienzforschung leider nur selten hoffen, denn die Restitutionsforschung stößt rasch an ihre Grenzen. Dies liegt an einer Vielzahl von Gründen: In vielen Museen gibt es keine Fixanstellungen, viele Provenienzforscher*innen arbeiten auf Werkvertragsbasis, entsprechende Ausbildungen müssen selbstständig, oft „learning by doing“ erworben werden.
Doch darf der zentralste Faktor aller Bemühungen um die Klärung einer Provenienz niemals in Vergessenheit geraten: Das Leid der enteigneten, deportierten und ermordeten Jüdinnen und Juden. Ihre Geschichten müssen erzählt und in den Mittelpunkt gerückt werden, denn oftmals kreist die öffentliche Debatte zu sehr um den monetären Wert der zu restituierenden Kunstwerke. Menschen wie Ankara Munk, deren Hab und Gut von den Nationalsozialisten gestohlen wurde, starben, ohne jemals Gerechtigkeit erfahren zu haben. Genau aus diesem Grund ist die Restitution an die rechtmäßigen Erben ein Mindestmaß an Wiedergutmachung, die die österreichische Gesellschaft heute leisten kann.
Im diesem Abschlussbericht finden sich vertiefende Informationen rund um die Provenienzforschung des Lentos Kunstmuseum Linz.