Blickpunkt: Konzept von Henrike Heller


SELBST. DAS ICH IM BILD.
Ein Ausstellungskonzept von Henrike Heller

Fragestellung und Thematik

Wir alle sind immer wieder im Laufe des Lebens mit der Frage nach dem Selbst, nach unserem Ich konfrontiert. Sei es beim täglichen Blick in den Spiegel, der Begegnung mit anderen Menschen, wichtigen Entscheidungen zur Lebensplanung oder inspiriert durch einen kulturellen/ philosophischen Impuls. Vielleicht ist die Frage nach dem Selbst eine der Fragen, die wir nie ganz beantworten können, die sich immer wieder neu stellt und bei der wir nur versuchen können, für uns ganz persönliche Antworten und Annäherungen zu finden. Da es bei der Auseinandersetzung mit der Frage nach dem ICH, auch immer um die Frage des Innen und Außen geht, spielt das Bild eine wichtige Rolle. Welches Bild haben andere Menschen von mir, wie wirke ich nach außen, wie möchte ich gesehen werden und wie sehe ich mich selbst? Wie zeige ich mich und weshalb zeige ich mich so? All diese Fragen haben auch Künstler*innen in den letzten Jahrhunderten beschäftigt. Durch die zunehmende Selbstdarstellung in den sozialen Medien, die neuen digitalen Möglichkeiten und die Verbreitung des Selfies erhält das Thema eine neue Dimension und Aktualität.

Ausgehend von diesem Thema soll nun ein Blick in die Sammlung des Lentos geworfen werden. Beim Durchstöbern der Lentos Kunstsammlung wird deutlich, dass die meisten Selbstbildnisse von männlichen Künstlern stammen, was jedoch bei einem Anteil von 14% weiblicher Künstler*innen in der Sammlung, nicht verwunderlich ist. Es lassen sich aber noch weitere Beobachtungen machen. Die Darstellungsformen in ihrem Ausdruck, ihrer Medialität unterscheiden sich. Aufgrund der bisher geringen Sichtbarkeit und Repräsentation von weiblichen Künstler*innen präsentiert die Ausstellung, ohne besondere Betonung dieses Schwerpunkts, auf die Selbstbildnisse von weiblichen Künstler*innen.

Inhaltliche Ausgestaltung

Begrüßt werden die Besucher*innen der Ausstellung „SELBST. DAS ICH IM BILD.“ durch ein Selbstbildnis von Clara Siewert, welches direkt gegenüber dem Eingang zu sehen ist. Die Künstlerin porträtiert sich in diesem Selbstbildnis erschrocken und dennoch grüßend gegenüber den Betrachter*innen. Der Titel der Ausstellung ist links von dem Kunstwerk in dunkellila auf der goldgelben Wand angebracht. Ein Beschreibungstext zur Ausstellung befindet sich in Sichtweite und leitet die Besucher*innen weiter in den Raum hinein. Dieser Text, sowie auch der Ausstellungstitel werden bewusst in Majuskeln verfasst und sollen eine Anspielung auf ausgestellte Künstler*innen sein, die sich bewusst für diese Schreibweise ihres Künstler*innennamens entschieden haben.

Ansicht beim Betreten des Raums

Im Gegensatz zu dem ersten Werk der Ausstellung steht die letzte Arbeit, eine Fotografie, die die Künstlerin Sophia Süßmilch nackt und breitbeinig in die Kamera blickend zeigt. Zwischen diesen Werken – dem Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Porträt und der Fotografie von 2019 – soll eine historische Entwicklung der Themen, Ausdrucksformen und Medien des weiblichen Selbstbildnisses aufgezeigt werden. Ausgehend von Zeichnungen und Skizzen, der meist naturalistischen Abbildung des eigenen Porträts, über Werke von Maria Lassnig und Martha Jungwirth, die die eigene Wahrnehmung und ihr inneres Empfinden in ihren Werken ausdrückten. Dekonstruierende Arbeiten, die sich mit Identitätsfragen beschäftigen, mit Rollenbildern und Geschlechtszuschreibungen spielen, folgen. Die Kunstwerke werden provozierender und das Medium Fotografie sowie die Darstellungsform des Selfies erhalten eine bedeutendere Rolle.

Neben der historischen Entwicklung sollen die Künstler*innen Sichtbarkeit erhalten, sind doch weibliche Kunstschaffende immer noch meist unterrepräsentiert und unbekannt. Ihre Positionen sollen gezeigt und ein Bewusstsein für ihre Existenz innerhalb der Sammlung geschaffen werden. Daher befindet sich die Werkbeschriftung oberhalb der Arbeiten als gut lesbarer Wandtext. Hier finden die Besucher*innen die Namen der Künstler*innen, den Titel des Werks sowie dessen Datierung, womit die Namen präsent sind, die persönliche Einordnung des Werks durch die Künstler*innen vermittelt wird und eine zeitliche Einordnung möglich ist. Alle weiteren Werkinformationen sind bei Interesse in einem ausliegenden Saalheft aufgeführt. Dieses befindet sich in Bücherregalen, die mit Literatur zum Thema „Weibliches Selbstporträt“ und den ausgestellten Künstler*innen bestückt sind. Sitzgelegenheiten sollen dazu einladen sich in die Bücher zu vertiefen, eigenen Gedanken nachzugehen und den Raum auf sich wirken zu lassen.

Alle ausgestellten Kunstwerke befinden sich an Raummodulen mit einer Höhe von drei Metern, sodass die Besucher*innen mit immer neuen Blickachsen und einer großen Bewegungsfreiheit konfrontiert sind. Die drei- und viereckigen Module sind im Kontrast zur Wandfarbe des Raums, einem dunkellila, welches den Raum abdunkelt und eine mystische intime Atmosphäre schafft, goldgelb angestrichen. Lichtspots an den Modulen sorgen für eine akzentuierende Beleuchtung der Kunstwerke. An den Raumwänden befinden sich jeweils passend zum in der Nähe befindlichen Modul in goldgelber Schrift Stichworte und Begriffe, die eine Einordnung der Themenschwerpunkte geben und zum Nachdenken anregen sollen. Hier sind die folgenden Begriffe angedacht:

SELBSTABBILD
SELBSTBETRACHTUNG
SELBSTDARSTELLUNG
SELBSTBEFRAGUNG
SELBST
SELBSTVERGEWISSERUNG
SELBSTBESPIEGELUNG
ICH
MASKE
SELBSTPORTRÄT
SELFIE
SELBSTINSZENIERUNG
SELBSTBESTIMMUNG?!
SELBSTAUSSAGE
IDENTITÄT

Ausstellungsaufbau und Vermittlung

In der Mitte des Raums befindet sich ein 3×3 Meter großer begehbarer Kubus, der durch einen dunkellila Vorhang zu betreten ist. Beim Eintreten ist der Blick direkt auf das Kunstwerk von Marie Louise MontesizckySelbstporträt mit Birnen“ aus dem Jahr 1965 gerichtet, welches mit seiner Thematik der Spiegelung im Mittelpunkt der Ausstellung steht. Die Seitenwände im Inneren des Kubus sind verspiegelt, sodass die Betrachter*innen mit ihrem eigenen Spiegelbild konfrontiert werden und sich genau wie die Künstlerin auf dem Gemälde im Spiegel betrachten. Diese Spiegelwände sind von außen einsehbar, sodass vom Ausstellungsraum in den Kubus geblickt, von innen jedoch nicht nach außen geschaut werden kann. Damit können Personen bei ihrer Selbstbetrachtung beobachtet werden. Interessant ist dabei, wie diese sich im Bewusstsein der Sichtbarkeit nach außen darstellen und verhalten. Es entsteht somit derselbe Zustand wie beim Selbstbildnis, der Frage nach Selbstdarstellung, Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Innen und Außen.

Als weiterer partizipativer Teil der Ausstellung kann nach dem Durchqueren des Raums das Kunstwerk FLICK_EU / FLICK_EU Mirror besucht und ausprobiert werden. Die Fotobox im zweiten Raum bietet die Möglichkeit, sich zu fotografieren und digitalisiert das entstandene Bild direkt. Das Porträt wird in einer digitalen Datenbank gespeichert und ist online auf der Website des Projekts ausgestellt. Die Arbeit stellt aktuelle Fragen nach der Sichtbarkeit von Bildern, der Selbstdarstellung im Digitalen Raum und dem Speichern von Daten. Sie wurde von Peter Weibel, Matthias Gommel, Bernd Lintermann, Joachim Tesch am ZKM Karlsruhe entwickelt.

Neben diesen direkt in der Ausstellung verorteten Formaten sind zudem Führungen, ein Audioguide und Vorträge angedacht, welche die einzelnen Künstler*innen und auch das Sujet des Selbstbildnisses näher beleuchten. Kreative Workshops zur Gestaltung eines eigenen Selbstbildnisses sind besonders für die jüngeren Besucher*innen ein spannendes Vermittlungsprogramm.

Ausstellungsansicht im Maßstab 1:200

 

Künstler*innen – und Werkliste:
(alle Werke sind hier inkl. Abbildung einsehbar)

Eckl, Vilma Selbstbildnis, Um 1947, (3)
EXPORT, VALIE Identitätstransfer I-III, 2000 (1968), (14)
EXPORT, VALIE
Aktionshose: Genitalpanik, 1969, (19)
EXPORT, VALIE Selbstporträt mit Stiege und Hochhaus, 1989, (16)
EVA & ADELE „Self-Timer Photography“ Paris, 1996, (17)
EVA & ADELE Futuring Company, 2003-2007, (18)
Jungwirth, Martha Selbstportrait mit Fred Schmeller, 1983, (12)
Kasper, Ottilie Selbstbildnis, Vor 1947, (4)
Knebl, Jakob Lena Chesterfield, 2014, (20)
Kollwitz, Käthe Selbstbildnis, 1920 (lt. Lit.), (6)
Kollwitz, Käthe Selbstbildnis im Profil nach rechts, 1938, (2)
Lassnig, Maria Der nicht emanzipierte Mensch (früher Selbstbildnis als Monster), 1967, (9)
Lassnig, Maria
Selbstporträt als Pfersenbick, 1970, (10)
Lassnig, Maria Selbstbildnis mit Telefon, 1973, (11)
Montesizcky, Marie Louise Selbstporträt mit Birnen, 1965, (13)
Palme, Margit Unähnliches Selbstbildnis, 1975, (7)
Palme, Margit Unähnliches Selbstbildnis, 1975, (8)
Rosenbach, Ulrike Stillleben mit Selbstporträt, 1981, (15)
Siewert, Clara Selbstporträt mit erhobener Hand, Undatiert, (1)
Siewert, Clara
Selbstbildnis, 1917, (5)
Süßmilch, Sophia I want you, 2019, (21)