Avantgardistische Feministinnen. Ein Gespräch mit Gabriele Schor.
Die Gründungsdirektorin Gabriele Schor, der nun 17 Jahre alten Sammlung Verbund stellte sich am 21.10.2021 den Studierenden der Kunstuniversität Linz online via Zoom als Gesprächspartnerin zur Verfügung. Anlass war die im Lentos Kunstmuseum Linz gezeigte Ausstellung „Female Sensibility. Feministische Avantgarde aus der Sammlung Verbund“. Dabei gab sie Einblicke in die Konzeption der Sammlung und ihre Pionierarbeit in der österreichischen Kunst- und Kulturlandschaft.[1]
Ein Beitrag von Melanie Jussel und Christin Seirl
Im Jahr 2004 trat einer der größten europäischen Energieerzeuger, die österreichische Verbund AG, an Gabriele Schor heran und eröffnete ihr die Möglichkeit, eine Firmenkunstsammlung aufzubauen. Ihr Ziel war es, ein klares Alleinstellungsmerkmal für die Sammlung zu finden. Nach reiflichen Überlegungen und einem disziplinierten Ausschließungsverfahren, entschied sie sich Kunst der 1970er-Jahre bis heute zu erwerben. Daraus entwickelten sich die Schwerpunkte Feministischen Avantgarde sowie die Wahrnehmung von Orten und Räumen. Die mittlerweile großzügig ausfallende Verbund-Sammlung profitiert noch heute maßgeblich von der großen Expertise der Gabriele Schor.
Die international aufgestellte Kunstsammlung des Verbund mit ihrem Schwerpunkt Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre besteht aus Zeichungen, Holzschnitten, Druckgraphiken, zahlreichen Fotografien, Videobeiträgen und Performance-Dokumenten, wie beispielsweise von Margot Pilz oder Birgit Jürgenssen, welche die feministischen Anliegen der Künstlerinnen in den Mittelpunkt stellen. Die Künstlerinnen der damaligen Zeit entschieden sich mehrheitlich für neue, aktuelle Medien und machten sich diese gekonnt zu nutzen. Ein Faktum dabei war die stark männlich dominierte Malerei, welcher es entgegenzuwirken galt.
Beachtung sollte an dieser Stelle auch dem Titel eines Schwerpunktes entgegen gebracht werden denn das Wort Avantgarde ist geschichtlich gesehen stark männlich konnotiert. Deshalb hat Gabriele Schor den Begriff Feministische Avantgarde bewusst gewählt und er soll auch ein Zeichen für einen Richtungswechsel darstellen. Besagter Umstand ergibt sich ebenfalls aus dem vorzufindenden Genderverhältnis von 117 weiblichen zu 40 männlichen Kunstschaffenden, die in der Sammlung Verbund Vertretung finden.
„Tiefe statt Breite“. Ein starker Leitsatz, dem die Sammlungsleiterin und Kuratorin Gabriele Schor in Bezug auf die Sammlung Verbund noch heute treu bleibt. Jener stellt zugleich spürbar sicher, dass die Kunstsammlung ihren Qualitätsstandard, sowie ihre Relevanz innerhalb der internationalen Kunst- und Museumsszene aufrechterhält. Zugleich werden notwendige Anregungen für eine vorzunehmende Revision der bisher im Kunstbetrieb vorherrschenden hegemonialen Standards gesetzt. Gabriele Schors kunstwissenschaftliche Recherchen führten sie oftmals auf unbetretene Wege: So stammen die Werke der Sammlung oft von heute fast vergessenen Kunstschaffenden, deren Erzeugnisse über privat eingeholte Informationen, oder aus alten Katalogen wiederentdeckt – und die Künstlerinnen daraufhin kontaktiert werden konnten. Viele Ankäufe erwiesen sich als wahre Glücksfunde für die Sammlung Verbund, wie Schor bekannt gab, und mit großer Freude werden von ihr noch heute ganze Werkgruppen angekauft.
In Kooperation mit Kunstmuseen wird die Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre der Sammlung Verbund international ausgestellt. Dabei fällt die Gestaltung der Ausstellung, sowie die Auswahl der einzelnen Kunstwerke und Werkgruppen, den Bedürfnissen der öffentlichen Museen entsprechend, jeweils anders aus. Auch war Gabriele Schor federführend in der Konzeption und Gestaltung der „Vertikalen Gallerie“, welche im Hauptquartier der Verbund AG in Wien vorzufinden ist. Jene dient ebenfalls gerne als geeigneter Ausstellungsort für feministische Kunst. Dabei soll die Ausstellung in der Firmenzentrale neben zahlreichen Besucher*innen, vor allem die Angestellten der Verbund AG dazu anregen, einen wichtigen Diskurs über die Kunst und deren Wirkung miteinander zu führen.
Geschlechtergeprägte Sammlungen
Die systemische Unterordnung von Frauen in den Künsten ist immer noch prävalent. So bleibt nicht nur der Status des „Künstlergenies“ weiterhin ausschließlich weißen Künstlern vorbehalten. Auch zeigt sich dieses Ungleichgewicht anhand der Marktwerte der Werke selbst, welche im direkten Vergleich, zugunsten des männlichen Geschlechts meist weit höhere Preise erzielen.
Gabriele Schor erläuterte im Gespräch, dass die Werke der nicht männlichen Kunstschaffenden oft günstig zu erwerben gewesen seien und deutlich zeigt, dass unter anderem weiblicher Kunst immer noch weniger Wert beigemessen wird. Zwar steigt laut Gabriele Schor der Marktwert zurzeit etwas an, von Gleichheit kann keineswegs die Rede sein.
Wie Gabriele Schor im Interview berichtete, hat der 3-mal kleinere Anteil an männlicher Kunst in der Sammlung einen höheren finanziellen Wert als die Kunstwerke der weiblichen Künstlerinnen.
Im Falle vieler Museen, deren Sammlungen meist über Jahrzehnte historisch gewachsen sind und männliche Positionen in den Beständen überwiegen, eröffnet sich ein weiteres Problem: Männlich geprägte Sammlungen lassen sich in ihrem Geschlechteranteil, auch unter Druck des Kunstmarktes, nur schwierig ausgleichen. Um ein Beispiel zu nennen: Der Frauenanteil im Lentos Kunstmuseum Linz beträgt, trotz Bemühungen weiblicher Führung seit 2004(!), derzeit ca. 14%, wie uns die Museumsdirektorin Hemma Schmutz berichtete.
Die Kunstsammlung des Verbund ist diesbezüglich jedoch eine recht außergewöhnliche. Mit dem Schwerpunkt Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre möchte Gabriele Schor versteckten künstlerischen Positionen eine Stimme bieten. Dies betrifft allen voran die Werke von Künstlerinnen. Und im Anbetracht aktueller Sammlungsbestände soll gesagt sein, dass diese Sammlungsstrategie radikal anders, ja, sogar ein feministisches Statement, ist. Gesellschaftspolitisch gesehen wäre es im Jahr 2022 wünschenswert, eine weiblich geprägte Kunstsammlung, wie es die Sammlung Verbund darstellt, nicht mehr als ein ‚feministisches Statement‘ bezeichnen zu müssen, sondern als eine Selbstverständlichkeit.
Nicht-männlich sein ist dem Museum fremd. Zur Repräsentation von trans Personen und BPoC Frauen im aktuellen Ausstellungsgeschehen.
Die Sammlung Verbund, bzw. die daraus entstandene Ausstellung „Female Sensibility“ ist erst ein Anfang auf dem Weg zu einer antidiskriminierenden Ausstellungspraxis, die auch BPoC Frauen und trans Personen ihren Platz im Kunstgeschehen einräumt. So gibt Gabriele Schor in ihrer Ausstellung unter anderem 17 österreichischen Künstlerinnen aus gesamt 82 Positionen deren wohl verdiente Aufmerksamkeit, dabei umfasst jenes neben sechs Women of Color[2] primär weiße Künstlerinnen. Was ist mit dem dazwischen und dem außerhalb? Theorien des intersektionalen Feminismus betonen, dass (in der Kunst) nicht nur die weiße Frau marginalisiert wird. Und wenn bereits Kunst weißer Künstlerinnen kaum rentabel ist; wie verhält sich die Situation mit andersfarbigen und/oder Trans und/oder Intersex Künstler*innen? Intersektionalität, d.h. die Betrachtung verschiedener Formen und Überlappungen der Diskriminierung gegenüber einer Person, findet bis dato nur wenig Anklang in Museen und Ausstellungen.
Dies wurde auch im Gespräch mit Gabriele Schor von Seiten der Studierenden thematisiert. Konkret lautete die Frage, wieso in der Ausstellung “Female Sensibility“ keine trans Frauen vertreten sind und auch nur wenige BPoC Frauen Teil der Ausstellung sind. Wenn man im Sinne einer feministischen Ausstellung konkret auf die Kunst der 1970er-Jahre blickt, erscheint es uns als sehr wichtig, auch das zerrüttete Verhältnis zwischen weißen und nicht weißen Frauen zu thematisieren, das zur Zeit der 1. und 2. feministischen Welle einen kritischen Punkt in der Historie der Frauenbewegungen darstellt, aufgrund der fortführenden Missachtung und Ausgrenzung[3] von trans und BPoC[4] Frauen.
Bezüglich der Intersektionalität wirft Gabriele Schor auf, dass jene BPoC leider oft auch kein Teil eines westlich geprägten, feministischen Sammlungskonzeptes sein möchten. Doch ist dies nicht ein Zeichen für die Notwendigkeit, das Verhältnis zwischen weißen und andersfarbigen Feminist*innen zu thematisieren? Als eine Schwierigkeit hinsichtlich der Kunst von transgender Menschen erklärt Frau Schor das Fehlen dieser Personengruppe innerhalb der Kunst in der Zeit der 1970er-Jahren, wobei es sich wohl auch hier um ein Problem des ‚noch nicht Entdeckens‘ handelt.[5] Viele bereits verstorbene oder ältere transgender Künstler*innen werden heutzutage erst aufgearbeitet, wenn sie überhaupt entdeckt werden.
Definitiv ist für Gabriele Schor und die Sammlung Verbund das Thema Intersektionalität ein wichtiger Aspekt. Auch bekräftigte die Kuratorin, dass Sie in künftigen Ausstellungen stärker auf das zerrüttete Verhältnis zwischen schwarzen und weißen Feminist*innen hinweisen möchte, um so auch darüber aufzuklären, weshalb (unter anderem) in der Feminismus-zentrierten Ausstellung (noch!) wenige trans und BPoC Positionen anzufinden sind.
Der wichtige Schritt in Richtung Diversität, welchen Frau Schor mit ihrer Ausstellung „Feministische Avantgarde“ macht, darf nicht missachtet werden. Die österreichische Kunstszene beginnt nun erst nach und nach sich von ihren patriarchalen, wie hegemonialen Strukturen zu lösen. Auch bleibt offen, wie viel Wert österreichische Kulturinstitutionen dem Thema Intersektionalität beimessen, denn es mangelt nach wie vor an tatsächlicher Repräsentation, und der ordentlichen Auseinandersetzung damit. Doch vielleicht können künftige Sammlungen, wie die der Sammlung Verbund unter der Leitung von Direktorin Gabriele Schor jenem entgegenwirken.
Fußnoten
[1] Gabriele Schor, geboren am 17. April 1961 in Wien, absolvierte das Studium der Philosophie. Nach ihrer Promotion arbeitete sie als Kuratorin sowie als Kunstkritikerin.
[2] Emma Amos, Elizabeth Catlett, Dindga McCannon, Lorraine O’Grady, Senga Negudi, Howardena Pindell.
[3] Missachtet und diskriminiert (innerhalb des Feminismus) werden nicht-weiße Personen und Frauen übrigens schon seit Anbeginn des Frauenrechtsaktivismus im 19. Jhdt. Für mehr Informationen hierzu lohnt es sich den „Suffragetten-Rassismus“ zu googeln.
[4] BPoC (Black and People of Color) oder BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color) soll einen Sammelbegriff für Menschen mit Rassismuserfahrungen darstellen. Er deckt lange nicht jede Person und Ethnizität ab, welche von Rassismus betroffen ist. Auch ist es mit dem Begriff nicht möglich auf individuelle Rassismus Problematiken einzugehen. Doch stellt es einen anfänglichen Versuch dar, auf die Vielzahl an verschiedenen Rassismen hinzuweisen.
[5] Auch die im Kunstdiskurs bereits besser bekannten genderqueeren und trans-Künstler*innen wie Gluck, Vaginal Davis, Greer Lankton, Mark Cagaanan Aguhar, Katherine Vandam Bornstein, Lorenza Böttner, Jamie Nares wurden anfänglich nicht im vollen Ausmaß in ihrem Wirken anerkannt. Zwar sind nicht alle der genannten Künstler*innen repräsentativ für die Kunst der 1970er-Jahre und dem Sammlungsschwerpunkt des Verbund, dennoch kann ihr Schaffen exemplarisch für die diskriminierenden Bedingungen für trans-Personen im „Betriebssystem Kunst“ angeführt werden